Psychotrauma
Traumabegriff:
Trauma kommt aus dem griechischen und heißt Verletzung. ‘Trauma’ ist mittlerweile ein in der Alltagssprache inflationär verwendeter Begriff für erschreckende Ereignisse. Klinisch betrachtet, ist genau definiert welche Ereignisse als traumatisch zu bezeichnen sind.
Traumatische Ereignisse können sich vielfältig auswirken. Nicht jede Person, die traumatische Ereignisse überlebt hat, bildet eine krankheitswertige Störung aus.
Eine häufige Reaktion auf traumatische Ereignisse ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bzw. Posttraumatic Stress Disorder (PTSD).
Diese Diagnose ist in den zwei wichtigsten Diagnostischen Klassifikationsschemata aufgenommen:
DSM IV (Amerikanische Psychiatrische Assoziation)
ICD 10 (WHO)
Diagnosekriterien:
1. Traumatisches Ereignis
Um von einer PTSD sprechen zu können, müssen sowohl das Ereignis als auch die Reaktionsweise der Person festgelegte Kriterien erfüllen.
Definition des traumatisches Ereignisses nach DSM IV:
Das traumatische Ereignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat oder die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat oder das Miterleben eines unerwarteten oder gewaltsamen Todes, schweren Leids, oder Androhung des Todes oder einer Verletzung eines Familienmitgliedes oder einer nahe stehenden Person. Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen.
Definition des traumatisches Ereignisses nach ICD 10:
Ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen zu sein.
In einer traumatischen Situation ist es in der Regel nicht möglich zu flüchten. Die traumatische Situation löst Ohnmacht und intensive Angst aus. Ein traumatisches Ereignis steht außerhalb dessen, was Menschen sich erwarten und übersteigt die Bewältigungsstrategien, die wir zur Verfügung haben. Es erschüttert deshalb auch das Vertrauen in die Welt und andere Menschen, verändert Weltsicht und Selbstverständnis.
Es gibt verschiedene Arten traumatischer Ereignisse. Die Auswirkungen sind unterschiedlich, je nachdem ob es sich um eine Naturkatastrophe oder von Menschen verursachte Gewalt handelt, ob das Ereignis einmalig ist oder wiederholt Traumen auftreten.
2. Beschwerdebild der PTSD
Bei Menschen, die an einer PTSD leiden, sind spezifische Symptome zu beobachten. Von einer PTSD kann man im Unterschied zu einer Akuten Belastungsstörung sprechen, wenn die Symptome länger als 4 Wochen nach dem traumatischen Ereignis anhalten. Die Symptome können auch stark zeitverzögert auftreten, d.h. nach dem traumatischen Ereignis können Menschen monatelang psychisch relativ stabil sein.
Folgende Symptomgruppen müssen zu beobachten sein, um nach DSM IV von einer PTSD zu sprechen:
anhaltendes Wiedererleben des traumatischen Ereignisses
- Intrusionen (wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Trauma)
- Alpträume
- Flash-backs (erinnern, als ob das traumatische Ereignis in der Gegenwart geschähe)
- Intensive psychische Reaktion bei Konfrontation mit Trauma
- körperliche Reaktionen beim Erinnern des Traumas wie Zittern und Schwitzen
Vermeidungsverhalten
- Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen
- Bewusstes Vermeiden von Orten, Aktivitäten, Personen, die an das ursprüngliche Trauma erinnern
- Erinnerungslücken (Unfähigkeit sich teilweise oder vollständig an bestimmte Aspekte des Traumas zu erinnern)
- Vermindertes Interesse und verminderte Aktivität
- Einschränkung des Gefühlsspektrums (Abgestumpftheit, Taubheit, Versteinert- Sein)
- Gefühl von Losgelöstheit, Entfremdung von sich selber und anderen
- Gefühl einer eingeschränkten Zukunft
Übererregungszustand
- Einschlaf-, Durchschlafstörungen
- Reizbarkeit, Wutausbrüche
- Konzentrationsstörungen
- Übertriebene Aufmerksamkeit und Wachsamkeit
- Erhöhte Schreckhaftigkeit
Chronische und komplexe Traumafolgen
Bei Menschen, die wiederholt oder über längere Zeiträume hinweg traumatische Ereignisse erlebt haben, zeigen sich oft zusätzlich Symptome. Dies können u.a. sein:
Störungen der Affektregulation:
Depression, chronische Beschäftigung mit Suizidgedanken, Autoaggression, Selbstbeschädigung, explosive oder extrem gehemmte Wut
Veränderungen des Bewusstseins:
Amnesien und dissoziative Störungen (Fragmentierung oder Abspaltung von Teilen der Erfahrung oder dem emotionalen Erleben)
Veränderung der Selbstwahrnehmung:
Scham, Schuldgefühle, Selbstanklagen, Veränderung von Selbst- und Weltbild, Gefühl von Wertlosigkeit und Sinnlosigkeit
Unspezifische somatische Beschwerden:
Magen-, Darmprobleme, Kopfschmerzen, unspezifische Körperschmerzen, Hautprobleme, gynäkologische Beschwerden, …
Kulturspezifische Aspekte:
Die Diagnose von PTSD erfolgt nach westlichen Kriterien – die Reaktion auf Trauma ist nicht kulturunspezifisch, auch wer die Kriterien des DSM IV nicht in vollem Ausmaß erfüllt, kann traumatisiert sein.
Menschen aus nicht-westlichen Kulturen beschreiben ihre Beschwerden oft verstärkt körperlich, Körperschmerzen können im Vordergrund stehen (u.a. Kopfschmerz im Schläfen- und Stirnbereich, Schmerzen in Schulter- und Brustbereich, Magenbeschwerden), Vermeidungsverhalten kann weniger vorhanden sein.
Zur Traumaerkennung wichtig sind diagnostische Interviews, die ohne theoretische Vorannahmen der westlichen Psychologie auskommen, sondern die KlientInnen ermutigen, selber Zusammenhänge zwischen erlittener Gewalt und aktuellen Beschwerden herzustellen.
Trauma als Prozess:
Traumatisierung unterscheidet sich von anderen klinischen Diagnosen insofern Trauma immer auf Soziales bezogen ist. Trauma ist deshalb auch nicht rein intrapsychisch zu fassen. Was uns als intrapsychisches Leid begegnet, muss mit den sozialen Prozessen, der Zerstörung im jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext in Zusammenhang gebracht werden und ist in seiner Dimension nur in diesem Bezug zu verstehen.
Trauma ist auch keine bloße Reaktion auf ein Ereignis, sondern wirkt prozesshaft. Wie eine traumatische Erfahrung verarbeitet und integriert werden kann, hängt wesentlich mit der Zeit nach der Verfolgung, nach der Gewalt, nach dem Krieg zusammen. Die Bedingungen für Flüchtlinge in Österreich sind für eine gelingende Integration traumatischer Erfahrung ungünstig, da sie nicht zuletzt auch die Gefahr der Retraumatisierung in sich bergen.
Literatur:
Becker, David (2006): Die Erfindung des Traumas – verflochtene Geschichten. Freiburg.
Birck, Angelika (2002): Traumatisierte Flüchtlinge. Wie glaubhaft sind ihre Aussagen? Heidelberg, Kröning.
Birck, Angelika / Pross, Christian / Lansen, Johan (Hg.) (2002): Das Unsagbare. Die Arbeit mit Traumatisierten im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin. Berlin / Heidelberg / New York.
Haenel, Ferdinand / Wenk-Ansohn, Mechthild (Hg.) (2004): Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren. Weinheim, Basel.
Hegemann, Thomas / Salman, Ramazan (2001): Transkulturelle Psychiatrie. Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen. Bonn.
Ottomeyer, Klaus / Peltzer, Karl (2002): Überleben am Abgrund. Psychotrauma und Menschenrechte. Klagenfurt.
Ottomeyer, Klaus / Renner, Walter (Hg.) (2006): Interkulturelle Trauma-Diagnostik. Probleme, Befunde und Richtlinien für die Begutachtung von Asylsuchenden. Klagenfurt.
Verwey, Martine (Hg.) (2001): Trauma und Ressourcen. Trauma and Empowerment. Berlin.